Raus aus der Globalisierungsfalle – ein Kommentar

Kommentar unseres Mitglieds Helmut Reintaler zum Buch von Nikolaus Kowall: Raus aus der Globalisierungsfalle
https://www.kremayr-scheriau.at/bucher-e-books/titel/raus-aus-der-globalisierungsfalle/

Ich stimme mit Kowalls Buch weitgehend überein, sehe jedoch ein Problem dies politisch zu „verkaufen“ – so wie dargelegt bedeutet es doch eine Demontage des Österreich-Bildes unserer Generation (von mir provokativ formuliert):

  • Die Grundlagen für die industrielle Lebensfähigkeit Österreichs nach 1945 beruhen auf Anlagen und Konzepten des Nationalsozialismus (Vöest, Kaprun etc.) sowie des Marshall-Planes. In der Zeit vor der Globalisierung (Binnenmarkt-Orientierung, Spzialpartnerschaft) ermöglichte dies massive staatliche Interventionen.
  • Die Globalisierung (mit weitgehender Privatisierung der Staatsanteile und Reduktion des staatlichen Einflusses) ging in Österreich mit einer massiven Ausweitung der exportorientierten Wirtschaftsleistung einher, zusammen mit einer Stagnation der Sozialleistungen. Global führte diese Phase auch zu einer massiven Reduktion der Armut.
  • Nunmehr stehen wir vor der Notwendigkeit einer massiven Umorientierung industrieller Aktivitäten – diese lässt sich nur durch gesetzliche Vorgaben einer entsprechend mächtigen Einheit erreichen – z.B. der EU. Nationalstaatliche Aktivitäten haben dabei keine Aussicht auf Erfolg – das Kapital IST ein scheues Reh das an der Flucht gehindert werden muss.

Deshalb vermutlich spielen rechte Parteien weltweit so erfolgreich auf der Heimat-Identitäts-Orgel. Dieses System kann nicht mehr aufrecht erhalten werden, es schafft sich gleichermaßen selbst ab. Angst vor Veränderung, die aber unaufhaltsam ist …

Neuauflage Finanzministerbuch

Unser Mitglied Prof. Dr. Wolfgang Fritz hat sein Finanzministerbuch im LIT-Verlag neu herausgegeben: https://lit-verlag.de/isbn/978-3-643-50929-1/

Im Jahr 2003 veröffentlichte Wolfgang Fritz sein Finanzministerbuch, das die damals 62 Amtsträger seit Gründung des Ministeriums 1848 biographisch erfasste. Es hat sich seither als gern verwendetes Nachschlagewerk für alle, die etwas über die Herrschaften wissen wollen, bewährt.

Inzwischen sind 20 Jahre ins Land gegangen, 2018 wären 170 Jahre österreichisches Finanzministerium zu feiern gewesen, vier weitere Finanzminister haben das Haus in der Himmelpfortgasse gehütet. Alles in allem höchste Zeit, auch das Finanzministerbuch auf den neuesten Stand zu bringen.

Wer heute das Finanzministerium besucht, wird es kaum wiedererkennen, da es in den letzten Jahren renoviert und auf Hochglanz gebracht wurde. Aber den alten Geist, als ein Hort juristischen und wirtschaftswissenschaftlichen Wissens und Könnens dem Volk zu dienen, muss und wird es behaupten.

Wolfgang Fritz, promovierter Jurist und vom österreichischen Bundespräsidenten ernannter Professor, Jurist und Schriftsteller. Mitbegründer und langjähriger Leiter der Internen Revision im Bundesministerium für Finanzen. Veröffentlichte drei Romane und drei wissenschaftliche Biographien.
http://www.wolfgangfritz.at/

Agora der Demokratie-Initiativen

Am Samstag, den 6. Juli 2024, fand im Gleis21 in Wien Favoriten die gut besuchte Agora der Demokratie-Initiativen statt. Über 80 engagierte Bürger:innen arbeiteten zum Thema „Verteidigung unserer Demokratie“ und stellten eine Vielzahl von Initiativen vor. Auch unser Verein wird sich hier beteiligen.

Unter diesem Link finden Sie weitere Informationen:
https://www.demokratieundrespekt.at/einladung-agora-der-demokratieinitiativen/

Und hier können Sie sich über verwandte Initiativen informieren:
https://www.demokratieundrespekt.at/verwandte-initiativen/

Philip Rathgeb: How the Radical Right Has Changed Capitalism and Welfare in Europe and the USA

Unser Mitglied Dr. Wilhelm Nespor hat das neue Buch von Philip Rathgeb gelesen und für uns zusammengefasst:
How the Radical Right Has Changed Capitalism and Welfare in Europe and the USA. Philip Rathgeb, Oxford University Press, 2024.

Beschreibung des Autors von seiner Webseite:
https://www.philiprathgeb.com/publications

Description

Radical right parties are no longer political challengers on the fringes of party systems; they have become part of the political mainstream across the Western world. This book shows how they have used their political power to reform economic and social policies in Continental Europe, Northern Europe, Eastern Europe, and the USA. In doing so, it argues that the radical right’s core ideology of nativism and authoritarianism informs their socio-economic policy preferences. However, diverse welfare state contexts mediate their socio-economic policy impacts along regime-specific lines, leading to variations of trade protectionism, economic nationalism, traditional familialism, labour market dualism, and welfare chauvinism.

The radical right has used the diverse policy instruments available within their political-economic arrangements to protect threatened labour market insiders and male breadwinners from decline, while creating a racialized and gendered precariat at the same time. This socio-economic agenda of selective status protection restores horizontal inequalities in terms of gender and ethnicity, without addressing vertical inequalities between the rich and the poor.

Combining insights from comparative politics, party politics, comparative political economy, and welfare state research, the book provides novel insights into how the radical right manufactures consent for authoritarian rule by taming the socially corrosive effects of globalised capitalism for key electoral groups, while aiming to exclude the rest from democratic participation.

Regierung veröffentlicht aufrüttelnden Sozialbericht 2024

Unsere Regierung hat den Sozialbericht 2024 des BMSGPK veröffentlicht:
https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/III/1146/imfname_1621786.pdf

Darin finden sich erstaunliche Fakten zur Vermögensverteilung in Österreich. Zusammengefasst:
Viele Leistungen des Sozialstaats kommen überproportional den Vermögenden zugute (Förderungen, die an Eigentum am Hauptwohnsitz geknüpft sind, Subventionen für Energiewende, Wertsteigerungen von Immobilien durch Ausbau öffentlicher Infrastruktur, usw.).

„Tatsächlich hat die untere Hälfte in der Vermögensverteilung aber nur einen minimalen Anteil von 4,6 Prozent am gesamten privaten Vermögen. Gerade die untere Hälfte der Bevölkerung, die keine Immobilien oder Unternehmen ihr Eigen nennt, bleibt in Verteilungsdebatten oft unsichtbar.“
(Sozialbericht 2024 Band II, Abschnitt 4, Seite 293).

„Die Sparfähigkeit bei Mieterhaushalten ist so gering, dass durch die eigene Arbeitsleistung nicht einmal das für eine Kreditaufnahme für Wohnungseigentum notwendige Eigenkapital aufgebaut werden kann.“
(Sozialbericht 2024 Band II, Abschnitt 4, Seite 307).

Über Mietzahlungen „überweist die besitzlose Hälfte des Landes ein Drittel bis ein Viertel ihres monatlichen Einkommens an die reichsten Haushalte. Eine gigantische Umverteilung von unten nach oben. Monat für Monat.“
(Zitat Barbara Blaha im Standard, https://www.derstandard.at/story/3000000215599/mythos-mitte-der-kaputte-kompass-der-politik)

„Es ist rational nicht erklärlich, warum Einkommen aus Arbeitsleistung hoch besteuert werden sollen, während gleichzeitig leistungslose Einkommen aus der Bodenrente, aus Erbschaften und Vermögenszuwächsen nicht oder wenig besteuert werden.“
(Sozialbericht 2024 Band II, Abschnitt 4, Seite 321).

Die Regierung weiß also doch, wie ungleich es um unseren Wohlstand steht!
Wann tut sie endlich etwas?

Welche Theorie erklärt die wachsende Ungleichheit?

In der aktuellen Oxfam Studie „Inequality Inc“ zur wachsenden sozialen Ungleichheit wird ein sehr anschauliches Beispiel gezeigt:

„Die fünf wohlhabendsten Männer der Welt – dazu zählen etwa der Tesla-Chef Elon Musk und Amazon-Gründer Jeff Bezos – haben ihr Vermögen seit 2020 von 405 Milliarden US-Dollar auf 869 Milliarden US-Dollar mehr als verdoppelt.
Im selben Zeitraum haben die ärmeren 60 Prozent der Welt, mehr als 4,7 Milliarden Menschen, 20 Milliarden US-Dollar verloren.“

Die meisten Modelle der traditionellen Wirtschaftslehre können diese Fakten nicht erklären.
Sie nehmen irrigerweise an, dass sich das Vermögen einer einzelnen Person an den Mittelwert des Gesamtvermögens aller Personen zu einem bestimmten Zeitpunkt annähern würde (sog. ergodische Hypothese) und somit langfristig stabil sei.
Die Fakten der Realität (wie auch in dieser Oxfam Studie) zeigen aber laufend, dass diese Annahme bei einem multiplikativen Prozess wie der Vermögensentwicklung falsch ist. Das Vermögen einer einzelnen Person nähert sich nur dem Erwartungswert über die individuelle Zeitachse und der ist für die meisten leider negativ, wenn es keine ausreichende Umverteilung in der Form von Vermögen- und Erbschaftsteuern gibt.

Das Wesen lebender Systeme und des Kapitalismus ist multiplikativer Natur: Kapital wird dazu eingesetzt, mehr von sich selbst zu erzeugen. Solche Systeme werden besser durch die Theorie der Geometrischen Brownschen Bewegung erklärt.

Das kann man gut in unserem Simulationsmodell nachvollziehen:
Warum werden Reiche immer reicher?
Wir erkennen, dass eine Steigerung des allgemeinen Bruttosozialprodukts keinesfalls dazu führt, dass alle Menschen reicher werden.

Ole Peters, der die mathematischen Grundlagen dafür entwickelt hat, schreibt dazu:
„In der Ökonomie des multiplikativen Vermögens – des Kapitalismus – können wir 3 Alternativen beobachten:“

  • Wenn wir nichts tun, wächst die Ungleichheit ins Unendliche.
  • Wenn wir schnell genug umverteilen, kann sich die Ungleichheit auf einem bestimmten Level stabilisieren.
  • Wenn wir jedoch aktiv destabilisieren, wie wir es offensichtlich in den letzten Jahren getan haben, verschwindet der Mittelstand. Eine arme Person, die brav wirtschaftet, wird dann immer ärmer und kann nie mehr zum Mittelstand aufsteigen. Ebenso wird eine reiche Person, die sich vernünftig verhält, automatisch immer reicher werden und nie mehr in den Mittelstand absteigen können.

Siehe auch:
Wealth: redistribution and interest rates
DerStandard: Reiche werden reicher

Europäische Zentralbank publiziert neue Verteilungsdaten

Per 8.1.2024 hat die Europäische Zentralbank neues Datenmaterial über die Vermögensverteilung in Europa publiziert.
Siehe z.B.: Top 5% share of net wealth of households
Demnach scheint die Ungleichheit bei den Vermögen der Haushalte doch größer zu sein, als bisher angenommen. Österreich ist dabei Spitzenreiter:
(siehe dicke blaue Linie in dieser Grafik oben für Österreich im Vergleich zum rot strichlierten europäischen Durchschnitt.)

Auch der Standard hat darüber berichtet:
Die reichsten fünf Prozent halten mehr als die Hälfte des Vermögens

Laut Arbeiterkammer-Ökonom Matthias Schnetzer ist die Bedeutung von Erbschaften für die Anhäufung von Vermögen im Vergleich zu Arbeitseinkommen in keinem untersuchten europäischen Land größer als in Österreich.